Chronicles by Bob Dylan

Chronicles by Bob Dylan

Autor:Bob Dylan [Dylan, Bob]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462040524
veröffentlicht: 2014-04-24T16:00:00+00:00


5. River of Ice

Hinter dem Chrysler Building ging der Mond auf. Es war schon spät am Tag, die Straßenbeleuchtung sprang flackernd an, und man hörte das dumpfe Grummeln schwerer Autos, die unten durch die engen Straßen krochen. Schneeregen tickte ans Bürofenster. Lou Levy startete sein großes Bandgerät und stoppte es wieder. An seinem kleinen Finger glitzerte ein Diamantring; die Luft war blau vom Zigarrenrauch. Ein obstschalenartiger Lampenschirm an der Decke und ein paar Messing-Stehlampen auf dem Boden erweckten den Eindruck, daß der Raum sonst für Verhöre genutzt wurde. Unter meinen Füßen gemusterter Parkettboden. Es war eine trostlose Bude voller Branchenzeitschriften, Cashbox, Billboard, Radiostatistiken – in der Ecke ein Aktenschrank aus längst vergangenen Tagen. Neben Lous altem Metallschreibtisch standen ein paar Holzstühle, und auf einem davon beugte ich mich über meine Gitarre und spielte ein paar Songs.

Erst vor kurzem hatte ich zu Hause angerufen, aus einer der zahlreichen Telefonzellen in der Stadt, wie ich es jeden Monat ein paarmal tat. Telefonzellen waren ein Zufluchtsort – man tritt ein, zieht die Falttür zu und schließt sich in einer sauberen privaten Welt ein, abgeschirmt vom Lärm der City. Die Telefonzelle war zwar privat, nicht aber die Verbindung nach Hause.

Damals hatten alle Haushalte Gemeinschaftsanschlüsse. Acht oder zehn Häuser hingen am selben Anschluß, nur eben mit unterschiedlichen Nummern. Wenn man den Hörer abnahm, war die Leitung selten frei; man hörte immer fremde Stimmen. Niemand sagte am Telefon irgend etwas Wichtiges, und man faßte sich kurz. Wenn man mit jemandem reden wollte, unterhielt man sich lieber auf der Straße, auf unbebauten Grundstücken und Feldern oder im Café und nicht am Telefon.

An der Ecke warf ich einen Dime ein und wählte die Nummer der Vermittlung, meldete ein R-Gespräch an und wurde sofort durchgestellt. Ich wollte alle wissen lassen, daß es mir gutging. Meine Mutter brachte mich gewöhnlich erst einmal auf den neuesten Stand über alle Alltagsangelegenheiten. Mein Vater hatte seine eigenen Ansichten. Für ihn war das Leben harte Arbeit. Er stammte aus einer Generation mit anderen Werten, anderen Helden und anderer Musik, und er war nicht so leicht davon zu überzeugen, daß die Wahrheit uns alle befreien werde. Er war ein Pragmatiker und hatte immer einen undurchschaubaren Ratschlag zur Hand. »Denk dran, Robert, im Leben kann alles passieren. Wenn du nicht alles hast, was du willst, dann sei dankbar für das, was du nicht hast und auch nicht haben willst.« Meine Ausbildung war ihm wichtig. Er hätte es gern gesehen, wenn ich Maschinenbauer geworden wäre. Aber ich hatte in der Schule nur mit Mühe auch nur halbwegs anständige Noten bekommen. Ich war nicht zum Lernen geboren. Meine Mom – Gott segne sie – die sich immer für mich eingesetzt und in so ziemlich allen Fragen felsenfest zu mir gehalten hatte, trieb in erster Linie die Sorge um, daß »da draußen so viele krumme Dinger laufen«, und sie fügte stets hinzu: »Bobby, vergiß nicht, daß du Verwandte in New Jersey hast.« Ich war schon in Jersey gewesen, aber nicht, um Verwandte zu besuchen.

Lou schaltete das große Bandgerät aus, nachdem er konzentriert einem meiner selbstkomponierten Songs gelauscht hatte.



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